Interview von Marc Hansen mit dem Tageblatt

Marc Hansen: " Der Wohnungsbau ist nicht nur eine staatliche Aktivität."

Interview: Tageblatt

Tageblatt: Was ist das Ziel der Wohnungsbaupolitik? 

Marc Hansen: Das Ziel der Wohnungsbaupolitik ist es, den Menschen zu ermöglichen, korrekt und anständig zu wohnen. Den Bürgern soll garantiert werden, dass sie es sich leisten können, ein Dach über dem Kopf zu haben. 

Tageblatt: Viele Menschen aus Luxemburg ziehen ins benachbarte Ausland. Wie schätzen Sie dieses Problem ein? 

Marc Hansen: Jedes Jahr ziehen auch Tausende Menschen von jenseits der Grenze nach Luxemburg. Das Phänomen, das Sie ansprechen, muss relativiert werden. Die Problematik am Wohnungsmarkt ist komplex und kann nicht auf den Quadratmeterpreis reduziert werden. Es ist eine sehr facettenreiche und komplizierte Diskussion, in der viele Details untergehen. 
Es stimmt, dass der Quadratmeterpreis steigt. Dieses Phänomen gab es aber viel stärker noch in der Vergangenheit. Wenn Sie die Bedingungen dafür erfüllen, dann könnten Sie sofort bei der sozialen Wohnungsbaugesellschaft SNHBM eine Wohnung oder ein Haus in Lamadelaine kaufen. Die Wohnungen kosten im Schnitt 240.000 Euro. Die Häuser kosten etwa 360.000 Euro. Diese Immobilien sind verfügbar. Es ist richtig, dass mehr sozialer Wohnungsbau betrieben werden muss. Daran arbeiten wir. 

Tageblatt: Trotzdem glauben die Menschen laut aktueller Eurobarometer-Studie, dass der Wohnungsmarkt das dringlichste Problem in Luxemburg sei. Wie kommt das? 

Marc Hansen: Natürlich ist dieses Thema für die Menschen wichtig. Auch wir nehmen das Thema ernst. Die angesprochenen Wohnungen stehen real zur Verfügung. Sie werden mit einem Erbpachtvertrag von 99 Jahren und einem Rückkaufsrecht des Staates vergeben. In der Diskussion wird natürlich oft nur der steigende Quadratmeterpreis analysiert. Jedes Jahr kommen im Schnitt 13.000 Menschen nach Luxemburg. Hierzulande gibt es ein doppeltes Problem. Jahrzehntelang wurden nicht genug Sozialwohnungen gebaut. Hinzu kommt das aktuelle Wachstum der Bevölkerung. Die Problematik kann nicht von heute auf morgen gelöst werden. Bis die Maßnahmen, die ein Wohnungsbaupolitiker trifft, Wirkung zeigen, dauert es eine ganze Weile. Wenn ich sage, dass es solche Preissteigerungen in der Vergangenheit schon gab, dann heißt das nicht, dass wir nicht aktiv werden müssen. Wir sind dabei, große Projekte zu entwickeln und als öffentliche Hand neue Grundstücke zu kaufen. Diese wollen wir dann den Menschen anbieten. 

Tageblatt: Auf welcher Seite des Marktes kann die Wohnungsbaupolitik mehr ausrichten: auf der Angebotsseite oder auf der Nachfrageseite? 

Marc Hansen: Wir müssen aktiv werden und den Menschen mehr Sozialwohnungen anbieten. Man muss allerdings an allen Ecken arbeiten. Ich pflege, von einem Puzzle mit tausend teilen zu sprechen. Es gibt nicht eine einzelne Maßnahme, die in dieser komplexen Situation von heute auf morgen alle Probleme lösen kann. Wer so etwas behauptet, der sagt nicht die Wahrheit. 

Tageblatt: Das Problem existiert allerdings schon eine ganze Weile. Wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht? 

Marc Hansen: Wäre von Anfang an alles richtig gemacht worden, hätten wir heute das Problem nicht. Da es aber keine Zauberformel gibt, um das Problem zu lösen, spreche ich von einem historischen Rückstand. Heute sind wir dabei, diesen Rückstand aufzuarbeiten. 
Auf dem Kirchberg zum Beispiel gab es einen Paradigmenwechsel. Früher ermöglichte der "Fonds d'urbanisation et d'aménagement du Plateau de Kirchberg" den Bauträgern, die am meisten geboten haben, dort zu bauen und die Immobilien dann so teuer wie möglich an die Menschen weiterzuverkaufen. Wir haben diese Praxis geändert. 
Bei der "Semaine nationale du logement" wurden auf dem Kirchberg nun das erste Mal Wohnungen zu einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 4.000 Euro verkauft. 

Tageblatt: Das macht bei 50 Quadratmetern 200.000 Euro. 

Marc Hansen: In Lamadelaine kostet wie gesagt ein Haus von 139 Quadratmetern 360.000 Euro. Diese Immobilien stehen zur Verfügung. Daneben erhöhen wir die Haushalte der öffentlichen Bauträger des Staates und der Gemeinden im Bereich sozialer Wohnungsbau massiv. 

Tageblatt: Was bedeutet "massiv"?

Marc Hansen: Der Haushalt des Wohnungsbauministeriums betrug 2015, als ich angefangen habe, 150 Millionen Euro. Heute liegt er bei 210 Millionen. Das ist eine sehr große Steigerung. Natürlich reicht das noch nicht. Es folgen große Projekte. Das Projekt "Wunne mat der Wooltz" kostet insgesamt 850 Millionen Euro. In Düdelingen werden wir das Walzwerk umbauen. Diese Summen sind natürlich noch nicht in den Budgets inbegriffen. Diese Wohnungen werden auch nicht morgen auf den Markt kommen. Sie werden über x Jahre fertiggestellt werden. 
Solange diese Sozialwohnungen nicht zur Verfügung stehen, gibt es immer noch Mietzuschüssen, die wir gerade dabei sind, zu verbessern, damit Menschen, die auf dem privaten Markt eine Mietwohnung finden, unterstützt werden. 

Tageblatt: Unterstützt eine solche Vergabe von Mietzuschüssen nicht die hohen Mietpreise?

Marc Hansen: Nein. Es heißt immer, die Mietpreise seien so hoch. Statec und das "Observatoire de l'habitat" haben sich kürzlich die durchschnittlichen Mietpreise angeschaut. Diese durchschnittlichen Mietpreise in Luxemburg liegen für eine Wohnung bei 950 Euro. Im Norden des Landes liegen sie im Schnitt bei 760 Euro, im Osten bei 850 Euro und im Zentrum bei 1.100 Euro. Mietzuschüsse bekommt nur, wer bereits einen Mietvertrag hat. Der muss unterschrieben sein, bevor die Mietzuschüsse beantragt werden. Der Eigentümer kann so nicht wissen, ob die Mieter Mietzuschüsse erhalten oder nicht. 

Tageblatt: Spielt es in der Wohnungsbaupolitik eine Rolle, in welcher Partei der Minister ist oder welche Parteien die Regierung bilden? 

Marc Hansen: Der Wohnungsbau ist ja nicht nur eine staatliche Aktivität. Die Gemeinden sind grundlegend beteiligt. Dort sind Menschen aus vielen Parteien dafür verantwortlich.
Das Problem ist, wie ich gesagt habe, historisch entstanden. Daran haben schon viele gearbeitet. In dem Kontext spricht man auch von einem nationalen Konsens. Jeder versucht, Maßnahmen zu entwickeln, die auch irgendwann greifen werden. Bloß werden sie nicht alle morgen schon greifen. Es gibt zwar einige grundsätzliche Punkte, die sich in den letzten Wochen, nach der Rede zur Lage der Nation, herauskristallisiert haben. Ansonsten ist sich aber jeder des Problems bewusst und wir — damit meine ich mich als Minister und Bürgermeister aus allen Parteien — arbeiten alle zusammen, um Lösungen zu finden und das Problem zu bewältigen. Egal welche philosophischen oder ideologischen Einstellungen man hegt, kann man diesem Problem nicht binnen zwei Jahren beikommen. Alle Parteien sind der Meinung, dass mehr Sozialwohnungen gebaut werden müssen. Und genau das tun wir. So dramatisch es klingt: den Rückstand in zwei Jahren aufzuholen, ist nicht möglich. So schnell kann man einfach nicht bauen. Es reicht außerdem nicht aus, hier und da tausend Wohnungen zu bauen, Eben deshalb müssen in der Zwischenzeit die Mieten subventioniert werden. Darüber hinaus haben wir an der Bürokratie gearbeitet, so dass die privaten Akteure schneller handeln können. Durch das Omnibusgesetz wurde das Vorkaufsrecht verstärkt. Die Instrumente müssen von den betroffenen Akteuren nur genutzt werden. 

Tageblatt: "dei Lénk" hat kürzlich vor geschlagen, Gelder aus dem "Fonds de compensation" zu nutzen, um das Problem anzugehen. Wie bewerten Sie den Vorschlag? 

Marc Hansen: Wir haben diese Spur schon verfolgt, bevor "de Lénk" das Thema aufgegriffen hat. Ich befinde mich in Gesprächen mit Romain Schneider. Wir arbeiten intensiv an Pilotprojekten, die wir demnächst vorstellen könnten.

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