Interview von Henri Kox in der Revue

"Erschwinglicher Wohnraum"

Interview: Revue

Revue: Wohnen war noch nie so teuer wie heute. Die Immobilienpreise steigen und steigen. Was ging schief und was soll besser werden?

Henri Kox: Es ist sehr viel Geld unterwegs seit der Finanzkrise, was auch eine Logement-Krise war. Man kriegt ja null für sein Geld. Die Leute stecken ihr Geld also in den Wohnungsbau. Über den Mechanismus der Vermietung lässt sich das nicht rechtfertigen. Aber es ist die einzige Anlage, die eine sichere Rendite bringt. Das führte dazu, dass auch viele Luxemburger investierten. Die meisten Gesetzgebungen stammen von 1979. Die Nachfrage wurde gefördert, hauptsächlich mit Geld, für den Einzelnen, um sich etwas zu kaufen, oder für die Gesellschaften, die darin tätig sind. Jeder bekam Geld in der Hoffnung, dass er zum Besitzer wird. Doch viele Leute sind nicht fähig, das zu erwirtschaften oder das zu halten, ohne sich stark zu verschulden. Wir brauchen also eine Angebotspolitik in der öffentlichen Hand. Es gibt klassische Beispiele wie Wien, auch in Frankreich, wie zum Beispiel Nantes.

Revue: Wo muss angesetzt werden?

Henri Kox: Zunächst ist die öffentliche Hand gefordert, also der Staat und die Kommunen. Letztere haben eine sehr große Verantwortung. Ich muss also steuerlich mit Finanzminister Pierre Gramegna, reglementarisch mit Taina Bofferding (Innenministerin) und landesplanerisch mit Claude Turmes (Energieminister) eng zusammenarbeiten. Wir können nur die Strukturen vorgeben und die Kommunen mit ins Boot nehmen. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Man muss die Politik definieren und dann das Geld dafür geben. Ich war gegen den Pacte logement 1.0. Das Geld ist einfach mit der Zunahme der Bevölkerung geflossen, es muss aber auf der Basis der Zunahme von erschwinglichem Wohnungsbaus gegeben werden. Für diesen haben wir das 1979 er Gesetz, das einen Zuschuss von 75 Prozent vorsieht, zusätzlich zu den Geldern vom Pacte logement. Morgen gibt es nur noch Geld über den Pacte Logement, wenn gleichzeitig erschwinglicher Wohnungsbau in der Gemeinde entsteht. Wir dürfen die Kommunen aber nicht allein lassen. Wohnungsbauberater und Bailleur social, so die Stichworte, mit möglichst vielen professionellen Gesellschaften, die diese Wohnungen mithelfen zu betreuen.

Revue: Sozialwohnungen waren bisher hierzulande unterentwickelt.

Henri Kox: Wir haben 200 Wohnungsbaugesellschaften und 102 Kommunen. Wenn jede davon im Jahr zwei Wohnungen bauen würde, dann hätten wir jährlich 200 neue Wohnungen. Mit Pierre Gramegna sollen steuerliche Anreize geschaffen werden, so dass sie an bedürftige Leute vermietet werden können. Wir müssen noch einige Stellschrauben drehen, damit wir das Angebot auch im privaten Bereich steigern können. Damit wir Leute nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich unterbringen können. Wir kommen aber nicht darum herum, uns um die Grundsteuer zu kümmern, um auch da die richtigen Instrumente zu bekommen. Ich helfe dir, und du kannst mir helfen. Das Fundament ist der erschwingliche Wohnraum. Wenn man ein Haus auf ein Fundament mit Rissen baut, bekommt auch das Haus Risse. Wenn man das Fundament für den erschwinglichen Wohnraum nicht richtig aufbaut, bekommt man Risse in der Gesellschaft.

Revue: 2020 — das Jahr des Wohnungsbaus?

Henri Kox: Wir sollten das nicht zu weit hinausschieben. Es wird ein Wohnungsbaujahr. Wir werden alle Gesetze überarbeiten und bis zum Ende des Jahres angesprochen haben. Hoffentlich kann das Gesetz zum Pacte Logement 2.0 am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Wir wollen auch über neue Wohnformen diskutieren. Unterentwickelt sind zum Beispiel Wohngemeinschaften (WGs). Das muss reglementiert werden und einhergehen mit Parkraummanagement und mit Mobilitätskonzepten in den Gemeinden. Es gilt, viel Wohnraum zu ermöglichen. Im Pacte logement 2.0 haben wir drei Punkte hervorgehoben: 1. Bauen von erschwinglichem Wohnraum, 2. Mobilisierung von Bauland, 3. die Qualität im öffentlichen Raum. Letzteres in den Wohngebieten. Wohnformen müssen neu identifiziert werden, neu entdeckt werden. Es gibt mehr Singles, mehr Alleinerziehende. Wir müssen das reglementarisch neu schreiben, Stichwort "Colocation". Vorbild ist das belgische Gesetz. Das gibt eine gegenseitige Absicherung gegenüber dem Besitzer. Das muss intergenerationell sein. Dann kriegen wir neue Instrumente, die nicht alles lösen, aber zumindest einen Teil. Wir müssen aber auch die Privatwirtschaft mobilisieren, um erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Wir brauchen sechs- bis siebentausend Wohnungen im Jahr. Die Zahl der Wohnungen muss massiv erhöht werden. Die werden auch subventioniert. Sogar die Privatwirtschaft. Mit 75 Prozent, aber zu unseren Bedingungen über 40 Jahre. Wir haben eine Formel gefunden, wie wir den Leuten nach 20 Jahren mit einer Anschubfinanzierung zur Renovierung entgegenkommen. Früher wurde der Fehler gemacht, dass staatlich geförderte Wohnungen nach zehn oder zwanzig Jahren zu Marktpreisen weiterverkauft wurden. Diese Wohnungen sind uns verloren gegangen. Wohnungen dieser Art sollen nur noch mit dem Erbpachtrecht verkauft werden.

Revue: Soll verstärkt hoch gebaut werden?

Henri Kox: Wir sind in einem Land, in dem es viel Fläche pro Einwohner gibt. Weniger ist mehr. Auf der anderen Seite sind Mobilisierung und Verdichtung auch eine Diskussion wert, ohne dass die Lebensqualität verloren geht... Als ich in New York war, sagte ich, ich nehme jetzt drei Hochhäuser mit. Vielleicht auf Kirchberg, da würde das schon Sinn machen, aber nicht auf dem Land in Erpeldingen oder Remich. Manche Leute wollen das. Die sind städtisch orientiert. Die Rationalität zwischen öffentlichem Raum und Verdichtung muss überdacht werden. Wenn man neue Viertel, die in den 1960 er Jahren entstanden sind, heute wieder instand setzt, dann kostete das eine Unmenge an Geld. Statt freiliegender Einfamilienhäuser wird es mehr Reihenhaus geben.

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