Interview von Henri Kox im Luxemburger Wort

"Die öffentliche Hand ist gefordert"

Interview: Luxemburger Wort (Michèle Gantenbein)

Luxemburger Wort: Henri Kox, die Herausforderungen, die auf Sie als Wohnungsbauminister warten, sind enorm. Ist Ihnen da nicht etwas mulmig?

Henri Kox: Nein. Ich betrachte das Glas als halb voll. Ich habe die Chance, die Gesetzgebung an die heutige Zeit anzupassen. Diese Herausforderung nehme ich gerne an.

Luxemburger Wort: Im Regierungsprogramm steht dasselbe wie vor sechs Jahren. Was ist eigentlich erreicht worden in der vergangenen Legislaturperiode?

Henri Kox: Eine wichtige Reform wurde umgesetzt, nämlich die, dass öffentliche Wohnungen nicht mehr verkauft werden dürfen. Wohnungen werden nur noch mit Erbpachtvertrag verkauft oder bleiben als Mietwohnungen in der öffentlichen Hand.

Luxemburger Wort: In der Erklärung zur Rede der Nation war der Wohnungsbau kein Thema. Das Budget für den Wohnungsbau gemessen am Gesamtbudget schrumpft seit 2017 und liegt 2020 bei 1,15 Prozent. Es scheint, der Wohnungsbau hat keine Priorität mehr ...

Henri Kox: Der Wohnungsbau ist ganz klar eine Priorität. Im Wohnungsbaubudget sind viele Kreditposten unbegrenzt, ob es sich nun um subventionierte Wohnungsbauprojekte handelt oder um den Ankauf von Bauland durch den Staat. Es ist keine Frage des Geldes. Aber wir müssen die Gesetze anpassen, wenn wir mehr erschwinglichen Wohnraum schaffen wollen.

Luxemburger Wort: Ein zentraler Punkt ist der Ankauf von Bauland durch die öffentliche Hand. Hat der Staat sich ein Ziel gegeben, wie viel Bauland er pro Jahr erwerben möchte?

Henri Kox: Alles, was geht, zunächst innerhalb vom Bauperimeter. Mit dem Remembrement ministériel schaffen wir demnächst ein Instrument, mit dem wir ausgewiesenes Bauland mobilisieren können. 1600 Hektar. Die Flächen sind oft durch einzelne Besitzer blockiert. Das Remembrement urbain erlaubt es bereits heute Gemeinden, die Initiative zu ergreifen, um Bauland zu mobilisieren und Projekte zu initiieren. Im Falle einer Blockade kann der Minister mithilfe des Remembrement ministériel die Flächenumlegung anordnen.

Luxemburger Wort: Die Gemeinden haben das Instrument des Remembrement nie genutzt, in erster Linie weil sie sich keinen Ärger mit den Besitzern einhandeln wollen. Warum sollte sich das jetzt ändern?

Henri Kox: Durch das Remembrement ministériel. Es ist dem Ganzen übergeordnet und kann die Blockade auflösen. Es sind die Gemeinden, die die Prozedur der Flächenumlegung in die Wege leiten, aber sie müssen dabei unterstützt werden. Momentan schrecken die Gemeinden noch davor zurück, auch weil sie keine Erfahrung haben.

Luxemburger Wort: Und wenn auch über das Remembrement ministériel keine Einigung erzielt wird?

Henri Kox: Der Minister entscheidet in letzter Instanz über die Verschiebung der Flächen. Das ist keine Enteignung, nur eine Umlegung. Ich bin überzeugt, dass wir viele Flächen auf diese Weise mobilisieren können. Wir reden hier wohlgemerkt von größeren Projekten über 25 Einheiten. Das Gesetz schreibt vor, dass zehn Prozent der Wohnungen soziale Wohnungen sein müssen. Allerdings ist das Gesetz sehr vage. Zum Beispiel ist unklar, wer in den Genuss der Wohnungen kommen kann. Ich möchte, dass die zehn Prozent in den öffentlichen Besitz gehen, flächendeckend im ganzen Land.

Luxemburger Wort: Sie wollen die privaten Bauträger gesetzlich verpflichten, die zehn Prozent an die öffentliche Hand abzutreten ...

Henri Kox: Ich möchte in diese Richtung gehen, ja. Wir diskutieren das im Rahmen der Reform des Pacte logement. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass der Pacte logement 1.0 nicht zu dem geführt hat, was wir gerne hätten.

Luxemburger Wort: Sollen das Mietwohnungen werden?

Henri Kox: Nicht ausschließlich. Wir brauchen einen guten-Mix. Wir werden auch dafür sorgen, dass mehr Menschen Zugang zu subventionierten Wohnungen bekommen. Also auch die, die sich auf dem privaten Markt keine Wohnung leisten können, aber auch nicht die Kriterien erfüllen, um in den Genuss einer erschwinglichen Wohnung zu kommen. Wir erweitern die Schere.

Luxemburger Wort: Wollen Sie den Prozentsatz weiter erhöhen, zum Beispiel auf 30 Prozent?

Henri Kox: Bei Neuausweisungen im Rahmen des Plan sectoriel logement sind es 30 Prozent. Was die anderen Flächen betrifft, wollen wir zunächst die zehn Prozent erreichen. Wenn der Druck größer wird und der politische Wille da ist, kann man über einen höheren Prozentsatz diskutieren.

Luxemburger Wort: Ziel der Baulandverträge ist es, Besitzer von neu ausgewiesenem Bauland zu verpflichten, ihr Grundstück innerhalb einer bestimmten Frist zu bebauen. Sollte das nicht auch für die öffentliche Hand eingeführt werden?

Henri Kox: Diese Diskussion werden wir führen. Oft haben Gemeinden aber diese Möglichkeit nicht, zum Beispiel wenn sie nur einen Bruchteil der Flächen innerhalb • eines größeren Areals haben und der Rest in privatem Besitz ist.

Luxemburger Wort: Aber noch mal die Frage: Werden Sie eine Frist für öffentliche Bauträger einführen, innerhalb derer sie bauen müssen?

Henri Kox: Warum nicht? Ich weiß nur nicht, ob es Bedarf gibt. Ich kenne nicht viele Gemeinden, die Bauland haben, das nicht bebaut ist. Vielleicht stellt sich die Frage nicht. Neun Prozent des Baulands sind in öffentlicher Hand. Ich weiß aber nicht, wo sich diese Flächen befinden oder wie viel Bauland sofort bebaubar ist. Sollte sich aber herausstellen, dass ein beträchtlicher Prozentsatz sofort bebaubar ist, sollte man über eine Verpflichtung nachdenken.

Luxemburger Wort: Nach der Konsultierungsdebatte am 1. März 2018 kam ein parteiübergreifender Maßnahmenkatalog zustande, der von DP, LSAP, Déi Gréng und CSV unterzeichnet wurde. Darin hat das Parlament die Regierung unter anderem aufgefordert, die Prozeduren zu vereinfachen und zu beschleunigen. Was ist hier zu erwarten?

Henri Kox: Ein Gesetz, das die Prozedur vereinfachen wird, ist das Naturschutzgesetz. Hier hat es einen Paradigmenwechsel gegeben. Vorher musste der Bauträger selbst die Kompensierungsmaßnahmen durchführen. Jetzt haben wir einen Kompensationsfonds, in den die Bauträger einzahlen, und der Staat kümmert sich um die Kompensierungen. Eine Beschleunigung erreichen wir auch mit der Regelung, dass zehn Prozent der Wohnungen bei größeren Projekten an die öffentliche Hand abgetreten werden. In dem Fall verschwinden die Konventionen zwischen den Gemeinden und den privaten Bauträgern, die oft erst nach langwierigen Verhandlungen zustande kommen.

Luxemburger Wort: Die privaten Bauträger behaupten, dass es nicht schnell vorangeht, dass die strengen Umweltauflagen die Prozeduren verlangsamen und die Kompensierung den Wohnungsbau verteuert ...

Henri Kox: Was kann uns teurer werden als die. Natur, die jetzt schon zerstört ist? Wir haben die Umwelt in der Vergangenheit komplett vernachlässigt. Ich werde nicht den Wohnungsbau gegen die Umwelt ausspielen. Wir brauchen eine Hand-in-Hand-Vorgehensweise, schließlich wollen wir keine Betonblocks, sondern Qualität in den Wohnvierteln. Was die Prozeduren betrifft, wird die Zeit oft als Argument vorgeschoben. Die Prozeduren sind so, wie sie in einem demokratischen Staat sein sollen. Sie müssen nur zielorientiert und mit der nötigen Konsequenz angewandt werden.

Luxemburger Wort: Sie meinen, es wird behauptet, die Prozeduren seien zu langwierig, in Wirklichkeit aber kommt das den Bauträgern entgegen...

Henri Kox: Jein. Das hängt von der Optik ab. Wir wissen, wie die Preise sich entwickeln. Damit wird auch gerne gespielt.

Luxemburger Wort: Stichwort Baulücken, 1000 Hektar. Wie wollen Sie die mobilisieren? Mit Anreizen? Steuern?

Henri Kox: Das wird im Rahmen der großen Steuerreform angepackt. Die Grundsteuerreform ist auch Teil davon. Ich glaube, dass der Wille jetzt da ist, diesen Punkt in der Steuerreform anzugehen. Geprüft wird auch, inwiefern steuerliche Maßnahmen, die wir in der Vergangenheit eingeführt haben, für die Preissteigerung mit verantwortlich sind.

Luxemburger Wort: Sie analysieren also auch die TVA logement auf Mietwohnungen, die von drei auf 17 Prozent angehoben wurde ...

Henri Kox: Alle Maßnahmen sollen untersucht werden. Es ist ein Gesamtpackage. Es geht um politische Kohärenz und die müssen wir auch in der Steuerpolitik wieder-finden.

Luxemburger Wort: Die Regierung will gegen Baulandspekulation vorgehen. Dies soll im Rahmen der Grundsteuerreform passieren. Ist es realistisch, zu meinen, gegen Baulandspekulanten vorgehen zu können?

Henri Kox: Ja. Es ist machbar, indem wir das Fundament erweitern. Das erreichen wir, indem wir bei Neuausweisungen den Anteil von zehn Prozent für die öffentliche Hand erhöhen, mit der Verpflichtung, innerhalb eines noch zu definierenden Zeitraums zu bauen. Hinzu kommen die 30 Prozent im Rahmen des Plan sectoriel logement. So erreichen wir die nötige Anzahl an Wohnungen. Was wir zusätzlich regeln müssen, sind die steuerlichen Vorteile für Investitionsfonds. Das steht auch so im Koalitionsabkommen.

Luxemburger Wort: Ihre Vorgängerin Sam Tanson hat vor einigen Monaten gesagt: Wir müssen dafür sorgen, dass es weniger lukrativ ist, Bauland brachliegen zu lassen. Wie denn?

Henri Kox: Als Ingenieur weiß ich: Wenn ich an zwei Schrauben gleichzeitig drehe, kann ich keine Aussage machen. Ich kann nur an einer Schraube drehen und dann eine Aussage machen. Momentan weiß ich noch nicht einmal, welche Schrauben wir überhaupt haben. Diese Analyse wurde noch nicht richtiggemacht. Ich stimme Sam Tanson zu, aber ich weiß jetzt noch nicht, welche Instrumente die richtigen sind. Sicher ist, dass der Quart taux nicht zielführend war.

Luxemburger Wort: Er hat Bauland mobilisiert ...

Henri Kox: Für wen? Die öffentliche Hand hat nicht mehr Bauland erworben.

Luxemburger Wort: Warum denn nicht?

Henri Kox: Das Instrument war falsch. Der Quart taux hat den Markt stimuliert, aber nicht zu mehr sozialen Wohnungen und auch nicht zu einer Preiseindämmung geführt.

Luxemburger Wort: Denken Sie daran, den Quart taux noch einmal einzuführen, nur anders ausgerichtet?

Henri Kox: Wir diskutieren das. Aber es gibt andere Instrumente, die zielorientierter sind.

Luxemburger Wort: Stichwort drei Prozent TVA: Werden Sie die Obergrenze von 50 000 Euro anheben?

Henri Kox: Auch das prüfen wir. Wie gesagt, wir brauchen genauere Zahlen. Es heißt immer, wir brauchen 6 500 Wohnungen pro Jahr. Theoretisch. Aber das entspricht nicht unbedingt dem tatsächlichen Bedarf. Ein anderer Punkt ist der Leerstand.

Luxemburger Wort: Wie kann es sein, dass die Regierung nach sechs Jahren immer noch keine verlässlichen Daten hat?

Henri Kox: Dann war der Druck ..., dann war der Wille wohl noch nicht so da. Statec und Liser haben jetzt gute Zahlen geliefert. Wir müssen, das Erfassen von Daten auch mit dem Datenschutz in Einklang bringen. Die Stadt Luxemburg wollte eine Taxe auf leer stehenden Wohnungen einführen mit der Folge, dass die Angelegenheit vor Gericht gelandet ist und nun feststeckt.

Luxemburger Wort: Der Kompensationsfonds hat knapp acht Millionen in ein soziales Immobilienprojekt in Grevenmacher investiert. Wollen Sie diese Piste weiterverfolgen?

Henri Kox: Sozialversicherungsminister Romain Schneider und ich sind uns einig, dass wir diesen Weg weiterverfolgen. Das entscheiden wir aber nicht allein, die Gewerkschaften und das Patronat haben ein Wort mitzureden. Bei größeren Bauprojekten wäre es durchaus sinnvoll, wenn der Kompensationsfonds investieren würde.

Luxemburger Wort: Ihre Vorgängerin hat eine Anpassung der Subventionen für private Bauträger angekündigt. Einer der Kernpunkte ist die Verlängerung der Konventionen von 20 auf 40 Jahre. Werden Sie das so weiterführen?

Henri Kox: Ja. Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen Die Projekte werden bis zu 75 Prozent mit öffentlichen Geldern subventioniert. Es kann nicht sein dass diese Wohnungen nach zehn oder 20 Jahren mit Gewinn verkauft werden.

Luxemburger Wort: Auf die Frage, wie viele subventionierte Wohnungen nach der Sozialbindung auf dem privaten Markt gelandet sind, antwortete Ihr Ministerium, darüber hätte es keine Daten. Wie kann man dann behaupten, die Wohnungen würden alle auf dem privaten Markt landen?

Henri Kox: Ich kann die Wohnungen, die der Fonds du Logement gebaut und an den privaten Markt verloren hat, sehr schnell zusammenrechnen. Das ist erst seit vier Jahren anders, seit das Gesetz geändert und das Prinzip der Erbpacht eingeführt wurde.

Luxemburger Wort: Ich meinte die privaten Bauträger ...

Henri Kox: Die privaten Bauträger sind in den vergangenen Jahren massiv aufgetreten. Warum? Weil sie sich hohe Gewinne versprechen. Das ist aber nicht Sinn und Zweck der Wohnungsbaupolitik.

Luxemburger Wort: Ein Punkt, den Sam Tanson in die Diskussion gebracht hat, ist die europäische Regel, wonach die Gewinne einen bestimmten Rahmen nicht übersteigen dürfen. Wurde diese Regel denn angewandt?

Henri Kox: Seit Juni wird sie angewandt. Wenn Dinge vorher nicht richtig waren, muss das geprüft werden und wir müssen Maßnahmen ergreifen.

Luxemburger Wort: Das bedeutet, dass die Regel bis jetzt nicht angewandt worden ist ...

Henri Kox: Wichtig ist nicht die Vergangenheit, sondern was in Zukunft sein wird. Sollten Gelder ungerechtfertigter Weise vergeben worden sein, müssen wir ehrlicherweise darüber diskutieren. Es ist aber nicht meine Priorität, jemanden an den Pranger zu stellen, nur weil die Gesetze vorher nicht klar waren. Wir sorgen für klare, transparente, nachvollziehbare Bestimmungen, die für alle gleich und im Allgemeininteresse sind.

Luxemburger Wort: Und Sie befürchten nicht, dass die privaten Bauträger sich abwenden, weil ihnen das Ganze zu kompliziert wird?

Henri Kox: Nein, auch sie haben eine Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit. Es ist nicht mein Problem, wenn die privaten Bauträger nicht mitmachen wollen.

 

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